Ein weiterer roter Faden im Irrgarten der Literatur
„Es ist keine Geschichte für Leute mit dünner Haut und schwachen Nerven – welchen ich auch gleich empfehlen möchte, dieses Buch wieder zurück auf den Stapel zu legen und sich in die Kinderbuch-Abteilung zu verkrümeln. Husch, husch, verschwindet, ihr Kamillenteetrinker und Heulsusen, ihr Waschlappen und Schmiegehäschen, hier handelt es sich um eine Geschichte über einen Ort, an dem das Lesen noch ein echtes Abenteuer ist!“
(Walter Moers, Die Stadt der träumenden Bücher, Seite 1)
Solchermaßen vorbereitet tritt der Leser ein in die fantastische Welt Zamonien und lernt den Protagonisten Hildegunst von Mythenmetz kennen. Er ist Dichter und wie jeder andere junge Lindwurm hat auch er einen Dichtpaten, der ihn an die Zamonische Literatur heranführt und das Schriftstellerische Werden begleitet. Als dieser verstirbt, vermacht er Hildegunst ein geheimnisvolles Manuskript. Auch wenn wir abenteuerhungrigen Leser den Wortlaut nicht erfahren, so wird doch klar, dass es zu dem Besten zählt, was jemals geschrieben wurde.
Unsere Reise führt nach Buchhaim. An dem Ort, der wie kein Anderer mit Literatur zu tun hat, hofft der Lindwurm auf mehr Schriftstücke des unbekannten Autoren, oder ihn gar treffen zu können.
Buchhaim selber ist eine einzige Liebeserklärung an das Leben mit oder von Büchern. Literaturcafés stehen neben Antiquariaten, der Duft alter Folianten mischt sich mit dem nach Kaffee und frischen Brötchen und den Stimmen der Straßenverkäufer. Bücher, überall Bücher! Arme Dichter ersinnen für ein paar Taler auf Zuruf neue Lyrik, Agenten suchen nach vielversprechenden Jungautoren. Kein Bewohner, der nicht irgendwie mit dem Thema zu tun hätte. Mal ehrlich, wenn ich je einen Fuß hineinsetze, komme ich nie wieder raus!
Und unter jener Stadt stolpert Hildegunst, verstrickt in eine Intrige, über ein Abenteuer ganz anderer Art.
Ist es euch schoneinmal passiert, dass euch ein Buch vergiften wollte?
Nein? Dann hattet ihr entweder Glück oder seid noch nie in Buchhaims Katakomben gewesen. Hier leben die gefährlichen Bücher. Wildgewordene Folianten, einschläfernde Taschenbücher — Die unterirdischen Gänge sind nichts für schwache Nerven. Manch wagemutiger Jäger begibt sich, ausgerüstet wie für eine Drachenjagd, hinab. Doch unser armer Protagonist wird ganz und gar unvorbereitet auf seinen Weg geschickt und findet die ein oder andere Überraschung.
Als es um einen Namen für meinen Blog ging, wanderten meine Gedanken recht bald zu diesem Werk. Und natürlich stand damit auch fest, welche Rezension ich zuerst schreiben würde.Denn, welches Buch könnte ich euch eher ans Herz legen als eines, das eben jenes Medium zum Thema hat, über das wir alle zusammen finden?
Ohne Zweifel ist Die Stadt der träumenden Bücher eines meiner Lieblingsbücher. Jedesmal, wenn ich davon erzähle, gerate ich ins schwärmen: Über die fantasievolle Sprache voller Neologismen und zitatewürdiger Zeilen, über spannende Wendungen und interessante Einfälle oder über die kreative, verrückte Liebe zur Literatur, die aus jedem Satz winkt. Versucht beispielsweise einmal, die Namen der vielen Autoren etwas genauer zu lesen… Alles Anagramme!
Ich als Leser fieberte mit Hildegunst von Mythenmetz mit. Ich lachte über den pointierten Humor, gruselte mich in den Gängen der Unterwelt, verliebte mich zusammen mit ihm in die Lebensweise der Buchlinge und bangte um sein Leben. Zwischendrin immer wieder ausgeschmückt durch die Illustrationen Moers‘.
Der Autor selber beschreibt es übrigens eher als Schauerroman, in Buchläden ist es bei den Romanen einsortiert und ich zähle es unter Fantasy. So ganz kann man das nicht festlegen. Ebenfalls interessant und gut zu wissen: Die Kenntnis der anderen Zamonienbücher ist gut und hilfreich, aber nicht notwendig. Man erkennt viele Querverweise, doch ist man nicht auf sie angewiesen, um die Stadt verstehen zu können. Der zweite Teil indes, das Labyrinth der Träumenden Bücher, hat mich nicht so völlig begeistert wie der erste Teil und ehrlich gesagt kann man den ersten auch für sich allein stehend lesen. Vielleicht ändert sich meine Meinung noch, wenn irgendwann einmal der Dritte Teil erscheint.
Alles in allem ist dieses Buch sprachlich und literarisch ein Schatz.
Vielleicht mag das alles zu viel des Lobes sein, aber wir sind doch alle irgendwie bei manchen Büchern parteiisch. Auf jeden Fall muss man eine Spur verrückt zum lesen sein. Und man sollte keine Angst vor Schattenkönigen haben.
Zamonien 4 – Die Stadt der Träumenden Bücher
Erschienen am 01. April 2006
480 Seiten, Broschur
Preis 14 €
ISBN: 978-3-492-24688-0
Psst: Dieses Buch gibt es auch noch als Hardcoverausgabe! (28€)
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Lycidas (Christoph Marzi) oder allgemein Terry Pratchett
Über den Autor
Walter Moers ist 1957 in Mönchengladbach geboren und lebt heute in Hamburg. Man sieht und hört selten etwas von ihm als Mensch (Ja, er existiert und schriebt noch, wie er kürzlich selber bestätigte), dafür sind seine Werke umso bekannter. Moers ist er Erfinder vom kleinen Arschloch und unerwartet vielen anderen Comicfiguren, Kaptain Blaubär und dem ganzen fantastischen Kontinent Zamonien. Er hat völlig zurecht mehrere Preise gewonnen und arbeitet aktuell an Das Schloss der Träumenden Bücher (der Fortsetzung zu Stadt der Träumenden Bücher & Labyrinth der Träumenden Bücher), einem weiteren Zamonienroman namens Insel der 1000 Leuchttürme und einer Comicadaption der Stadt der Träumenden Bücher.
Zuletzt erschien sein Werk Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr